Die ethnisch-kulturelle Minderheit, die sich selbst Sinti und Roma nennt, ist seit dem Mittelalter in Europa zu Hause. Doch die Mehrheit betrachtet die „Zigeuner“, wie sie bis vor Kurzem traditionell bezeichnet wurden, mit Argwohn und Verachtung. Klischees und Vorurteile haben die Sinti und Roma nicht nur ausgegrenzt, sondern ihnen auch Verfolgung und Gewalt in unvorstellbarem Ausmaß gebracht.
Nach Ausweisung, Zwangsumsiedlung, Folter und Todesstrafen seit dem Mittelalter folgte im 19. und 20. Jahrhundert eine Fülle staatlicher Kontrollen zur „Bekämpfung der Zigeunerplage“. Bayern nahm dabei eine führende Rolle ein. Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten steigerten sich Kontrolle und Verfolgung zu Maßnahmen der Vernichtung. Das 1933 verabschiedete „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ bedeutete für viele Sinti und Roma die Zwangssterilisation. Die „Nürnberger Rassengesetze“ 1935 entzogen ihnen die Bürgerrechte. Sinti und Roma wurden als „Asoziale“ bezeichnet, in „Vorbeugungshaft“ oder „Sicherungsverwahrung“ genommen, zu Zwangsarbeit verurteilt und schon ab 1936, vor allem aber 1938 mit der „Aktion Arbeitsscheu“ in Konzentrationslagern inhaftiert. Die „Rassenhygienische Forschung“ erfasste im ganzen Reich Sinti und Roma und legitimierte deren Entrechtung mit pseudowissenschaftlichen Kriterien. 1940 wurden 2500 Sinti und Roma ins besetzte Polen deportiert; sie mussten in Konzentrationslagern leben und Zwangsarbeit leisten, viele starben an Hunger und Seuchen. 1943 schließlich wurden über 20.000 Sinti und Roma nach Auschwitz deportiert; dort waren sie zur „Vernichtung durch Arbeit“ und für medizinische Versuche bestimmt; nur wenige überlebten. Insgesamt wurden im Deutschen Reich und den von den Deutschen besetzten Ländern Osteuropas bis zu einer halben Million Sinti und Roma umgebracht.
Bis man in der Bundesrepublik verstand, dass im „Dritten Reich“ auch die Sinti und Roma einem Holocaust ausgesetzt waren, dauerte es bis in die 1980er Jahre. In der Nachkriegszeit ging die Entrechtung der Minderheit etwa mit polizeilichen Kontrollen ungehindert weiter; eine Anerkennung als Opfer der NS-Verfolgung wurde verweigert. Erst Protestaktionen junger Sinti machten die Leidensgeschichte der Minderheit öffentlich. Gleichwohl ist der Anti-Ziganismus, also die feindliche Einstellung gegenüber der Minderheit, bis heute in der Mehrheit stark ausgeprägt.
Angela Bachmair