Theodor Engländer

Geboren:
18.03.1876, Oettingen in Bayern
Gestorben:
Todestag und Todesort nicht bekannt

Wohnorte

Oettingen in Bayern, Klosterplatz 3 (früher: Manggasse C 25b)
Oettingen in Bayern, Manggasse 4 (früher: Manggasse C 45)
Augsburg, Bahnhofstraße 16

Letzter freiwilliger Wohnort

Orte der Verfolgung

Deportation
am 2. April 1942
von Augsburg
über München-Milbertshofen
nach Piaski

Biografie

Theodor Engländer

Familie Engländer

Theodor Engländer war der Sohn des Handelsmanns Jakob Engländer aus Hainsfarth und von Pauline, geb. Bannemann aus Burgkunstadt.1 Seine Eltern ließen sich 1875 mit ihrer Eheschließung in Oettingen in Bayern nieder.2 Die dortige jüdische Gemeinde besaß zu diesem Zeitpunkt eine Synagoge, ein rituelles Bad und einen Friedhof.3 Auf diesem wurden sein Vater (Juni 1843 – 22.02.1919)4 , seine Mutter (30.04.1850 – 28.08.192405 ) seine Schwester Therese (11.10.1878 – 28.12.1928)6 bestattet.

Grabstein von Jakob Engländer.
Grabstein von Pauline Engländer, geb. Bannemann.
Grabstein von Therese Kahn, geb. Engländer.

 Theodor wurde als David Engländer am 18. März 1876 in Oettingen geboren.7 Bei seiner Geburt wohnten die Eltern in der Manggasse C 25b (Klosterplatz 3).8

Das Haus am Klosterplatz 3.

Um 1900 wohnten die Eltern dann im zweiten Stock des Hauses C45 (Manggasse 4).9

Ausbildung und Geschäft

In Oettingen gab es seit den 1820er Jahren eine jüdische Schule, diese existierte bis ins Jahr 193010 , es lässt sich also vermuten, dass Theodor diese besuchte. Als 14-jähriger machte er eine Lehre in München. 11 Warum er am 17. April 1901 nach Südamerika ging, ist nicht bekannt.12 In Oettingen gründete Theodor Engländer 1905 oder 1906 ein Engros- und Detailgeschäft für Öle, Fette und Zigarren in der elterlichen Wohnung.13 Das Gemeindebürgerrecht in Oettingen hatte er 1906 erworben.14

In seinem Geschäft hatte er keine Angestellten, allerdings war nach der Hochzeit seine Frau Rosalie für den Detailhandel und die Buchhaltung zuständig. Theodor hingegen war meistens auf Reisen, auf denen er seine Kundschaft, wie z. B. Brauereien, Maschinenfabriken, Getreidemühlen und Lebensmittelgeschäfte aufsuchte.15

Hochzeit und Leben in Oettingen

Am 7. Januar 1907 heiratete Theodor Rosalie Vorchheimer aus Würzburg. Die Trauung wurde vom dortigen Rabbiner Nathan Bamberger16 geleitet.17 Rosalie, die Tochter des Handelsmanns Judas Vorchheimer und von Babette, geb. Weikersheimer18 , wurde am 16. November 1878 im unterfränkischen Thüngen geboren.19 Am 22. August 1908 kam ihr Sohn Paul in Oettingen zur Welt.20

Theodor war 1925 gemeinsam mit Louis Badmann, Hermann Badmann, Louis Emanuel und Samuel Martin Vorsteher der jüdischen Gemeinde, die zu diesem Zeitpunkt 107 Mitglieder hatte.21 Die Gemeinde hatte Vereine, wie z. B. den Wohltätigkeitsverein, den Frauenverein oder einen Jünglingsverein.22

Die Mitgliederzahl ging in den nächsten Jahren zurück: 1933 lebten nur noch 66 Juden in Oettingen, darunter Theodor und seine Frau. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten begann auch im Ries die staatlich forcierte Ausgrenzung von Juden. Am 1. April 1933 wurden auch in Oettingen jüdische Geschäfte boykottiert, wodurch auch das Geschäft von Theodor Schaden nahm, da von diesem Zeitpunkt an immer weniger Kunden bei ihm einkaufen. Es wurde deshalb für Theodor und Rosalie immer schwieriger, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.23

Geschäftsauflösung und Umzug nach Augsburg

Durch die sich immer weitere verschärfenden antisemitischen Maßnahmen in Deutschland stieg auch der Druck auf die Engländers stetig. So musste Theodor am 21. September 1938 seine Lebensversicherung, die er am 7. Oktober 1927 abgeschlossen hatte, an die Gewerbebank Nördlingen mit allen Rechten und Ansprüchen übertragen.24 Die Allianz-Versicherung schrieb im Zuge des Wiedergutmachungsverfahrens 1962 an den Sohn Paul Engländer: „[…] Am 21.09.1938 wurde dann allerdings die Versicherungsnehmereigenschaft mit Zustimmung Ihres Herrn Vaters an die Gewerbebank Nördlingen, spätere Volksbank Nördlingen übertragen.“25 Dass es sich dabei um eine freiwillige Zustimmung handelte, muss stark bezweifelt werden. Als die Versicherungssumme am 7. Oktober 1942 an die Volksbank Nördlingen ausgezahlt wurde, war Theodor Engländer schon nach Piaski deportiert worden und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr am Leben.

Das Anwesen in Oettingen musste am 14. September 1938 verkauft werden, und am 30. September 1938 meldete Theodor Engländer seinen Betrieb ab. Beides konnte aufgrund der immer größer werdenden wirtschaftlichen Not nicht mehr gehalten werden, die durch die antisemitische Politik des NS-Regimes verursacht worden war.26

Das Haus in der Mangstraße 4.

Das Ehepaar Engländer meldete sich am 22. Mai 1939 in Oettingen ab und zog vermutlich zwangsweise nach Augsburg in die Bahnhofstraße 16 als Untermieter bei Cath. Tanhauser.27 Die Darstellung der Bayerischen Landespolizei in einem Schreiben an das Landesentschädigungsamt aus dem Jahr 1955, nach der „Theodor und Rosalie freiwillig und ohne jeden Zwang von Oettingen nach Augsburg gezogen [waren]“28 , ist mehr als zweifelhaft.

Ab Winter 1939 mussten jüdische Männer und später auch jüdische Frauen Zwangsarbeit leisten. Theodor arbeitete vom 30. Juli 1940 bis zum 30. März 1942 bei der Firma Schaffner.29 Hugo Veith beschrieb Schaffner in einem Brief als „ein[en] Hund, der mit der Gestapo zusammen arbeitete“.30 Theodor musste gemeinsam mit anderen Juden an der Wertach im Gögginger Wald Uferbauten ausführen. Dafür bekam er circa 40 Pfennig die Stunde, wovon noch 20% abgezogen wurden.31

Durch eine Polizeiverordnung vom 1. September 1941 wurden Juden verpflichtet, auf der linken Seite auf Brusthöhe einen gelben „Judenstern“ zu tragen. Auch die Engländers wurden so gekennzeichnet.32

Deportation nach Piaski

Nach dem Novemberpogrom wollten die Nationalsozialisten die Juden nicht „nur“ wirtschaftlich verdrängen, sondern sie zielten auf eine „Endlösung der Judenfrage“. Diese ging von der Vertreibung bald in den staatlich organisierten Völkermord über.33 Aus Augsburg gingen ab November 1941 neun Deportationen ab.34 Unter den Verschleppten befanden sich auch Theodor und Rosalie. Nach dem Krieg sagte Martina Stenzenberger, die Hausmeisterin der Bahnhofstraße 16, aus, dass das Ehepaar während des Krieges unbekannt verschickt worden sei.35 Sie wurden am 2. April 1942 von Augsburg nach München-Milbertshofen gebracht. Von dort wurden die beiden am 4. April 1942 mit 742 weiteren Juden aus Oberbayern und Schwaben sowie 213 Personen aus Regensburg nach Piaski im Distrikt Lubin des Generalgouvernements deportiert.36 Dort wurde nach der deutschen Besetzung Polens das jüdische Viertel abgegrenzt. Es war ein sogenanntes Durchgangsghetto, in dem äußerst schlechte Bedingungen herrschten. Im Januar 1942 ermordeten die Nationalsozialisten viele der dort lebenden Juden, um Platz für die aus Deutschland und der Tschechoslowakei Deportierten zu schaffen. Als 1942 die Züge aus Deutschland und weiteren Ländern ankamen, wurden die hygienischen Verhältnisse und die Unterversorgung immer schlimmer.37

Ob Theodor und Rosalie in Piaski starben oder in einem der Vernichtungslager umgebracht wurden, lässt sich nicht mehr bestimmen. Am 17. Dezember 1958 wurden die beiden vom Amtsgericht Augsburg für tot erklärt. Der Todestag wurde jeweils auf den 8. Mai 1945 festgesetzt.38

Sohn Paul Engländer

Paul, der einzige Sohn von Rosalie und Theodor Engländer, besuchte das Progymnasium in Oettingen und erlernte nach der Schule den Beruf des Bankangestellten. Sein letzter Wohnsitz in Deutschland war in der Sedanstraße 36 in Hannover.39 Am 15. Januar 1938 konnte er seine Auswanderung nach New York realisieren.40 Ab 1954 führte er Entschädigungs- und Rückerstattungsverfahren.41

Dies ist ein Auszug aus der Biografie, die von Leonie Thalmeir, Schülerin des Oberstufenjahrgangs 2018/2020 am Paul-Klee-Gymnasium Gersthofen, im Rahmen des W-Seminars „Jüdische Opfer des Nationalsozialismus im Großraum Augsburg“ im Fach Geschichte erarbeitet wurde.
Online 2021

Fußnoten
  1. Heimatmuseum Oettingen, Familienstandsanzeige Engländer.
  2. Heimatmuseum Oettingen, Familienstandsanzeige Engländer.
  3. http://www.alemannia-judaica.de/oettingen_synagoge.htm (aufgerufen am 29.10.2019).
  4. https://www.geni.com/people/Jakob-Engl%C3%A4nder/6000000025053236066.
  5. https://www.geni.com/people/Pauline-Engl%C3%A4nder/6000000025053506053.
  6. https://archive.org/stream/oettingenjewishc1439unse/oettingenjewishc1439unse_djvu.txt.
  7. 1906 ändert er aus unbekannten Gründen seinen Vornamen von David in Theodor: „Nach Beschluss des königlichen Bezirksamtes Nördlingen vom 6. Dezember 1906 ist der Vorname des nebenbezeichneten David Engländer in Theodor abgeändert worden. Oettingen 11. Dezember 1906“, Heimatmuseum Oettingen, Geburtsurkunde Theodor Engländer.
  8. Heimatmuseum Oettingen, Familienstandsanzeige Engländer.
  9. Heimatmuseum Oettingen, Familienstandsanzeige Engländer.
  10. http://www.jüdische-gemeinden.de/index.php/gemeinden/m-o/1516-oettingen-schwaben-bayern (aufgerufen am 30.10.2019).
  11. StadtAM, MB Theodor Engländer.
  12. StadtAM, MB Theodor Engländer.
  13. BayHStA, LEA 45404.
  14. Heimatmuseum Oettingen, Bürgerrecht Theodor Engländer.
  15. BayHStA, LEA 45404.
  16. http://www.jüdische-gemeinden.de/index.php/gemeinden/u-z/2138-wuerzburg-main-unterfranken-bayern  (zuletzt aufgerufen am 29.10.2019).
  17. Heimatmuseum Oettingen, Familienstandsanzeige Engländer.
  18. Heimatmuseum Oettingen, Familienstandsanzeige Engländer.
  19. StadtAA, MK 2 Theodor Engländer.
  20. Heimatmuseum Oettingen, Familienstandsanzeige Engländer.
  21. Oettingen hatte 1925 insgesamt 3.837 Einwohner, https://www.statistik.bayern.de/mam/produkte/statistik_kommunal/2018/09779197.pdf.
  22. http://www.alemannia-judaica.de/oettingen_synagoge.htm (aufgerufen am 29.10.2019).
  23. BayHStA, LEA 45404.
  24. BayHStA, LEA 45404.
  25. BayHStA, LEA 45404.
  26. BayHStA, LEA 45404.
  27. Heimatmuseum Oettingen, Familienstandsanzeige Engländer.
  28. BayHStA, LEA 45404.
  29. Gernot Römer (Hg.), „An meine Gemeinde in der Zerstreuung.“ Die Rundbriefe des Augsburger Rabbiners Ernst Jacob 1941-1949 (Materialien zur Geschichte des Bayerischen Schwaben, Bd. 29), Augsburg 2007, S. 37f.
  30. Gernot Römer (Hg.), 2007, S. 37.
  31. Ebd., S. 38.
  32. BayHStA, LEA 45404.
  33. Benigna Schönhagen, Die zweite jüdische Gemeinde von Augsburg 1861-1943, in: Michael Brenner, Sabine Ullmann (Hg.), Die Juden in Schwaben, München 2013, S. 247.
  34. https://gedenkbuch-augsburg.de/opfergruppen/juden/.
  35. StadtAA, MK 2 Theodor Engländer.
  36. https://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_bay_420404.html (aufgerufen am 29.10.2019); ITS Digital Archives, Arolsen Archives, Deportationsliste der Gestapo München.
  37. https://www.regensburg-digital.de/vom-letzten-weg-der-regensburger-juden-in-die-todeslager/06042016/ (aufgerufen am 30.10.2019).
  38. StadtAA, MK 2 Theodor Engländer.
  39. BayHStA, LEA 45404.
  40. Heimatmuseum Oettingen, Familienstandsanzeige Engländer.
  41. StAA, AG Nachlassakten Theodor Engländer; BayHStA, LEA 45404.
Quellen- und Literaturverzeichnis
Unveröffentlichte Quellen:

Bayerisches Hauptstaatsarchiv (BayHStA)**
**Landesentschädigungsamt (LEA):
– 45404

Heimatmuseum Oettingen
– Bürgerrecht Theodor Engländer
– Familienstandsanzeige Engländer
– Geburtsurkunde Theodor Engländer

ITS Digital Archives, Arolsen Archives
– Deportationsliste der Gestapo München

Staatsarchiv Augsburg (StAA)
– AG Nachlassakten Theodor Engländer

Stadtarchiv Augsburg (StadtAA)
Meldekartei 2 (MK 2):
– Theodor Engländer

Stadtarchiv München (StadtAM)
Meldebogen (MB):
– Theodor Engländer

Veröffentlichte Quellen:

Benigna Schönhagen, Die zweite jüdische Gemeinde von Augsburg 1861-1943, in: Michael Brenner, Sabine Ullmann (Hg.), Die Juden in Schwaben, München 2013.

Gernot Römer (Hg.), „An meine Gemeinde in der Zerstreuung.“ Die Rundbriefe des Augsburger Rabbiners Ernst Jacob 1941-1949 (Materialien zur Geschichte des Bayerischen Schwaben, Bd. 29), Augsburg 2007.

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