Natan Thanhauser

Geboren:
22.10.1879, Augsburg
Nach Kriegsende für tot erklärt:
02.04.1942, Sterbeort nicht bekannt

Wohnorte

Augsburg-Kriegshaber
Augsburg, Bahnhofstraße 18
Augsburg, Bahnhofstraße 16

Letzter freiwilliger Wohnort

Orte der Verfolgung

Deportation
am 2. April 1942
von Augsburg
über München-Milbertshofen
nach Piaski

Biografie

Eltern und Geschwister1

Natan Thanhauser2 wurde am 22. Oktober 1879 in Kriegshaber geboren. Seine Eltern Mina3 (1856-1916) und Heinrich Thanhauser (1852-1906) waren Teil der dortigen jüdischen Gemeinde. 1886 kam Natans Schwester Karoline zur Welt, welche später die „Städtische Töchterschule“4 besuchte. Auch die jüngste Schwester Frieda, 1891 geboren, besuchte diese Schule. Natans Vater war ein Kaufmann, der mit unterschiedlichen Gütern handelte. Es ist nicht bekannt, welche Schule Natan besuchte. Über seine Kindheit und Jugend liegen keine weiteren Informationen vor.

Familiengründung5

Am 18. Juni 1907 heiratete er Nathalie Hochherr,6 welche ebenfalls der jüdischen Gemeinde angehörte. Danach zog seine Frau zu ihm in die Bahnhofstraße 18 in Augsburg. Das Ehepaar bekam zwei Töchter: Klara7 (03.04.1908) und Ilse (23.04.1910). Die Geburt von Ilse war schwer und endete fast mit dem Tod ihrer Mutter. Sie erholte sich aber wieder und kehrte mit ihrer Neugeborenen geschwächt, aber gesund, nach Hause zurück.

Die Verbindung der Familien Thanhauser und Hochherr wurde durch eine weitere Hochzeit noch einmal verstärkt: Natans Schwester Karoline heiratete Nathalies Bruder Simon (1882).

Die Familie war nicht orthodox, lebte ihren Glauben aber aktiv und feierte die jüdischen Feste. Vermutlich besuchte sie die Synagoge in der Ulmer Straße 228 in Kriegshaber.8

Die beiden Töchter hatten ein enges Verhältnis zu ihrer Großmutter Mina, die bei Natans Schwester Frieda und ihrem Mann Alfred wohnte, und verbrachten viele Nachmittage bei ihr. Nathalie Thanhauser wurde noch ein drittes Mal schwanger. Vor der Geburt zog die Familie ein Haus weiter und wohnte von nun an in der Bahnhofstraße 16. Am 31. August 1915 gebar Nathalie einen Sohn, welcher nach Natans verstorbenem Vater den Namen Heinrich erhielt.

Erster Weltkrieg9

1916 wurde Natan Thanhauser „zu den Waffen gerufen“ und in Aschaffenburg als Kanonier10 ausgebildet. Vor seiner Versetzung an die französische Front an der Somme, wurde ihm ein kurzer Urlaub gewährt. Er versprach seinen beiden Töchtern, sollte er gesund wieder zurück nach Hause kommen, ihnen ein Klavier zu kaufen. Vom bayerischen König Ludwig III. erhielt er ein Verdienstkreuz, da er einem General das Leben gerettet hatte.

Rückkehr zur Familie11

Nach Ende des Ersten Weltkriegs kehrte Natan gesund von Frankreich nach Deutschland zurück. Bevor er nach Hause zu seiner Familie konnte, musste er allerdings gemeinsam mit einigen anderen Soldaten zwei Wochen in Quarantäne in ein Lazarett, da sie sich Läuse eingefangen hatten. Danach konnte er zu seiner Frau und seinen Kindern zurückzukehren. Wie er es Klara und Ilse versprochen hatte, bekamen sie ein Klavier.

Beruflicher Werdegang12

Am 29. Januar 1920 meldete er einen Viehhandel an. Zusätzlich war Natan Thanhauser als Gütermakler tätig, womit er in die Fußstapfen seines Vaters trat.13 In der Königsbrunner Landsberger Straße 19 besaß er ein zusätzliches Grundstück, wo er den Großteil seiner Zeit verbrachte. Dort ging auch seine Frau Nathalie, neben ihrer Tätigkeit als Hausfrau, kleineren landwirtschaftlichen Aufgaben nach. Das Ehepaar hatte ungefähr ein monatliches Einkommen zwischen 500 und 800 Mark, mit dem sie sich ein solides Leben aufbauen konnten.

Verfolgung in der NS-Zeit14

Die Familie Thanhauser wurde Schritt für Schritt aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen. Erklärtes Ziel der Nationalsozialisten war es, Juden und Jüdinnen systematisch aus allen Lebensbereichen der Gesellschaft auszugrenzen. Sie durften z. B. keine Theater, Lesehallen, Schwimmbäder, Kinos oder Eislaufplätze mehr besuchen. Die Nürnberger Gesetze von 1935 zeigten offiziell, dass Juden und Jüdinnen in der Bevölkerung keinen Platz mehr finden sollten. Sie galten als „Menschen zweiter Klasse“. Auch ihm wirtschaftlichen Bereich spitzte sich die Situation immer stärker zu und so sah sich Natan Thanhauser gezwungen, sein Gewerbe am 1. Juli 1938 abzumelden. Durch die Reichspogromnacht am 9. November 1938 wurde er außerdem dazu gedrängt, auch seine Beschäftigung als Gütermakler einzustellen.

Ab dem 19. Juli 1941 mussten die Thanhausers den „Judenstern“ sichtbar an ihrer Kleidung tragen. Dadurch wurde ihnen das Leben nochmals erschwert, da sie nicht mehr, ohne als Juden erkannt zu werden, auf die Straße gehen konnten. Sie waren antisemitischen Anfeindungen schutzlos ausgeliefert.

Deportation15

Natan Thanhauser und seine Frau Nathalie wurden am 4. April 1942 in das Durchgangslager in Piaski (Polen) verschleppt. Die beiden waren Teil einer größeren Deportation von Juden aus Schwaben, Oberbayern, der Oberpfalz sowie Niederbayern.16 Sie haben die Deportation nicht überlebt. Nach dem Krieg wurde der Todestag auf den 2. April 194217 festgelegt.

Klara Thanhauser18

Die ältere Tochter hatte 1937 den Zigarrenfacharbeiter Siegfried Straußer geheiratet. Sein erlernter Beruf sollte wahrscheinlich lebensrettend für die beiden werden. Klara Straußer entdeckte 1938 durch Zufall in einer jüdischen Zeitung ein Einwanderungsprogramm der Philippinen: Menschen mit bestimmten Berufen, wie Zigarrenfacharbeitern, versprach man eine einfache Einreise. Nach einigen Komplikationen schafften sie es, dorthin zu flüchten.

Zuerst arbeitete Siegfried in einer Zigarrenfabrik, doch nach deren Schließung, begann das Ehepaar einen Wurstladen zu führen. Nach turbulenten Zeiten auf den Philippinen gelang es dem Ehepaar letztendlich im Mai 1946 in die USA überzusiedeln. Dort hatte sie ihren Wohnsitz in New York, wo Klara/Claire Straußer 2002 starb.

Ilse Thanhauser19

Als Ilse Thanhauser gemeinsam mit ihrer Schwester Klara, wie sie es öfter taten, in die Oper ging, entdeckt sie ihre Leidenschaft für die italienische Sprache. Das Erlernen der Sprache wurde zu ihrem Hobby. Im Laufe der Zeit nahm sie diese Begeisterung zunehmend ernster und machte es sich zum Ziel, nach Italien auszuwandern. Am 31. Oktober 1932 waren alle Vorbereitungen erfolgreich abgeschlossen und einen Tag später kam sie in Arezzo an.

Am 3. Oktober 1933 reiste sie weiter nach Mailand, wo die deutsche Familie Baehr sie als Erzieherin einstellte. Hier lernte sie 1934 ihren zukünftigen Ehemann Giulio20 Baehr kennen, welchen sie zwei Jahre später heiratete. Doch auch in Italien war die Familie ab 1938 nicht mehr sicher vor dem um sich greifenden Antisemitismus. Das Ehepaar schaffte es 1943 gemeinsam mit ihrer Tochter Ruth21 unterzutauchen.

Ilse Thanhauser starb 2009. Ihr Mann war schon 1967 gestorben, ihre Tochter im März 2000.

Heinrich Thanhauser22

Über Heinrich Thanhauser waren nicht viele Informationen auffindbar. Er lebte ab Juni 1940 in einem „Umschulungslager“ in Bielefeld, wo er faktisch Zwangsarbeit verrichten musste. Wohin er deportiert wurde, ist unklar. In den Quellen finden sich folgende Orte: Theresienstadt23 , Auschwitz24 und Piaski25 . Sicher ist, dass er die Verschleppung nicht überlebt hat.

Entschädigungsverfahren26

Das Entschädigungsverfahren war sehr langwierig, da nicht alle benötigten Dokumente für Natan Thanhausers Töchter zugänglich waren. Es bestand ein regelmäßiger Austausch zwischen einem Rechtsanwalt der Töchter und den zuständigen Behörden. Die Zeugin Irma Lichtenauer konnte die Enteignung bestätigen. Nach einem schleppenden Verfahren erhielten die Töchter Ilse Baehr, geb. Thanhauser und Klara/Claire Straußer, geb. Thanhauser 900 DM als Kapitalentschädigung und 619,97 DM als Entschädigung.

Natan Thanhauser hatte sein Grundstück in Königsbrunn im Zuge des Novemberpogroms 1938 an Hermann Herget verkauft. Der Kaufpreis wurde auf ein Sperrkonto eingezahlt. Hermann Herget musste 1951 den Kaufpreis des Grundstücks nochmal einmal an die Erben zahlen.

Dies ist ein Auszug aus der Biografie, die von Lisa Schleich, Schülerin des Oberstufenjahrgangs 2020/2022 am Maria-Ward-Gymnasium Augsburg, im Rahmen des W-Seminars „Jüdische Opfer des Nationalsozialismus im Raum Augsburg“ im Fach Geschichte erarbeitet wurde.

Fußnoten
  1. Arolsen Archives ITS Nr. 333; StadtAA, MB Natan Thanhauser; http://www.datenmatrix.de/projekte/hdbg/spurensuche/index_extern.html (aufgerufen am 10.03.2021).
  2. Alternativschreibweise: Nathan Thannhauser.
  3. StadtAA, MB Natan Thanhauser: geb. Jakoby oder Jakobi.
  4. Heute: Maria-Theresia-Gymnasium.
  5. BayHStA, Entschädigungsverfahren Natan Thanhauser Nr. 532298; StadtAA, Heiratsurkunde Natan und Nathalie Thanhauser; StadtAA, MB Nathan Thanhauser; https://collections.arolsen-archives.org/archive/70222419/?p=1&s=Natan%20Tannhauser&doc_id=70222419 (aufgerufen am 09.03.2021); http://www.datenmatrix.de/projekte/hdbg/spurensuche/index_extern.html (aufgerufen am 10.03.2021).
  6. StadtAA, Heiratsurkunde Natan und Nathalie Thanhauser: Alternativschreibweise: Natalie; Nathalie Hochherr. Sie wurde am 06.11.1880 in Berwangen geboren. Ihre Eltern waren Hannah (geb. Kahn) und Levy Hochherr.
  7. Alternativschreibweise: Clara oder Claire.
  8. Benigna Schönhagen, Das jüdische Kriegshaber, in: Thomas Groll u. a., (Hg.), Kriegshaber in Bildern. Am Straßenrand der Weltgeschichte, Augsburg 2016, S. 37.
  9. http://www.datenmatrix.de/projekte/hdbg/spurensuche/index_extern.html (aufgerufen am 10.03.2022).
  10. Kanonier ist einen Soldaten, der ein Geschütz bedient.
  11. http://www.datenmatrix.de/projekte/hdbg/spurensuche/index_extern.html (aufgerufen am 10.03.2022).
  12. StadtAA, GK 2 Natan Thanhauser; BayHStA, Entschädigungsverfahren Natan Thanhauser Nr. 104021, Nr. 532298, Nr. 99582, Nr. 53229.
  13. Arolsen Archives ITS Nr. 333; StadtAA, MB Natan Thanhauser; http://www.datenmatrix.de/projekte/hdbg/spurensuche/index_extern.html (aufgerufen am 10.03.2021).
  14. Gernot Römer, Der Leidensweg der Juden in Schwaben. Schicksale von 1933 – 1945 in Berichten, Dokumenten und Zahlen, Augsburg 1983, S.146; S.146; StadtAA, GK 2 Natan Thanhauser; BayHStA, Entschädigungsverfahren Natan Thanhauser Nr. 8985; Felix Bellaire, Augsburg 1939-1945. Eine Stadt im Kriegszustand, Friedberg 2020, S.297-303.
  15. BayHStA, Entschädigungsverfahren Natan Thanhauser Nr. 104021; https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de981237 (aufgerufen am 30.05.2022).
  16. Gernot Römer, Leidensweg der Juden in Schwaben, S.41; https://www.statistik-des-holocaust.de/list_ger_bay_420404.html (aufgerufen am 30.05.2022).
  17. Das Deportationsdatum war zum Zeitpunkt der Festsetzung nicht bekannt: BayHStA, Entschädigungsverfahren Natan Thanhauser Nr. 104021.
  18. BayHStA, Entschädigungsverfahren Natan Nr. 104021; http://www.datenmatrix.de/projekte/hdbg/spurensuche/index_extern.html (aufgerufen am 10.03.2021); Felix Bellaire, 2020, S.302 und 305.
  19. BayHStA, Entschädigungsverfahren Natan Nr. 104021, Nr. 66850; Projekt „Spurensuche“: http://www.datenmatrix.de/projekte/hdbg/spurensuche/index_extern.html (aufgerufen am 10.03.2021).
  20. Alternativschreibweise: Julius.
  21. Ruth wurde am 01.02.1939 geboren.
  22. BayHStA, Entschädigungsverfahren Natan Thanhauser Nr. 99582; https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de981219 (aufgerufen am 10.03.2021); http://www.datenmatrix.de/projekte/hdbg/spurensuche/index_extern.html (aufgerufen am 10.03.2021); https://spurensuche-bielefeld.de/spur/der-schlosshof-gut-gasthaus-juedisches-lager/ (aufgerufen am 30.05.2022); https://collections.arolsen-archives.org/de/search/person/11194895?s=Heinrich%20Thanhauser&t=229608&p=1 (aufgerufen am 30.05.2022); https://www.statistik-des-holocaust.de/OT420404-15.jpg (aufgerufen am 30.05.2022).
  23. https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de981219 (aufgerufen am 10.03.2021); https://spurensuche-bielefeld.de/spur/der-schlosshof-gut-gasthaus-juedisches-lager/ (aufgerufen am 30.05.2022).
  24. http://www.datenmatrix.de/projekte/hdbg/spurensuche/index_extern.html (aufgerufen am 10.03.2021).
  25. https://collections.arolsen-archives.org/de/search/person/11194895?s=Heinrich%20Thanhauser&t=229608&p=1 (aufgerufen am 30.05.2022); https://www.statistik-des-holocaust.de/OT420404-15.jpg (aufgerufen am 30.05.2022).
  26. BayHStA, Entschädigungsverfahren Natan Thanhauser Nr.104021, Nr. 99582, Nr. 55229, Nr. 53229.
Quellen- und Literaturverzeichnis
Unveröffentlichte Quellen:

Arolsen Archives ITS
Nr. 333

Bayerisches Hauptstaatsarchiv (BayHStA)
Entschädigungsverfahren Natan Thanhauser Nr. 104021, Nr. 532298, Nr. 99582, Nr. 53229, Nr. 8985, Nr. 66850

Stadtarchiv Augsburg (StadtAA)
Meldebogen (MB):
Natan Thanhauser

Gewerbekartei 2 (GK 2):
Natan Thanhauser

Heiratsurkunde Natan und Nathalie Thanhauser

Internet:
Literatur:

Felix Bellaire, Augsburg 1939-1945. Eine Stadt im Kriegszustand, Friedberg 2020.

Stanislav Biman, u.a. (Hg.), Judenemanzipation - Antisemitismus - Verfolgung in Deutschland, Österreich-Ungarn, den Böhmischen Ländern und in der Slowakei, Band 6, Essen 1999.

Benigna Schönhagen, Das jüdische Kriegshaber, in: Thomas Groll, u. a. (Hg.), Kriegshaber in Bildern. Am Straßenrand der Weltgeschichte, Augsburg 2016, S. 35-38.

Gernot Römer, Der Leidensweg der Juden in Schwaben. Schicksale von 1933 – 1945 in Berichten, Dokumenten und Zahlen, Augsburg 1983.